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Debatte über doppelte Staatsbürgerschaft
26. Februar 2013 – Jochen Wiemken

„Doppel-Pass stärkt die Identifikation mit Deutschland“

Kolat: Türkische Gemeinde unterstützt SPD-Forderung
nach doppelter Staatsbürgerschaft (Foto: dpa)

Die SPD will die doppelte Staatsbürgerschaft einführen. „Unabdingbar“, begrüßt dies der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat. Im Gespräch mit SPD.de erklärt er, weshalb. Außerdem fordert er die Bundesregierung auf, sich ebenfalls für den Doppel-Pass einzusetzen. Alles andere verletze „das Gefühl der Gerechtigkeit“.

SPD.de: Immer mehr hochqualifizierte Deutsch-Türken wandern aus. Woran liegt das?
Kenan Kolat: Viele sehen ihre beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten mehr in der Türkei und anderen Ländern der Welt als in Deutschland. Einer der Gründe ist, dass sich viele auf dem deutschen Arbeitsmarkt diskriminiert fühlen. Mehrstaatlichkeit ist in der Bundesrepublik keine Ausnahme mehr sondern praktisch der Regelfall geworden.

SPD.de: Was muss sich ändern?
Kenan Kolat: Eine der Hauptforderungen der in Deutschland lebenden Menschen türkischer Herkunft ist die Hinnahme von Mehrstaatlichkeit bei der Einbürgerung. Schon heute werden über 50 Prozent der Einbürgerungen in der Bundesrepublik unter Hinnahme der Mehrstaatlichkeit vollzogen.

„Mehrstaatlichkeit ist in der Bundesrepublik keine Ausnahme mehr sondern praktisch der Regelfall geworden.“

SPD.de: SPD-Chef Sigmar Gabriel hat jüngst bekräftigt, eines der ersten Projekte einer rot-grünen Bundesregierung werde es sein, die doppelte Staatsbürgerschaft möglich zu machen…
Kenan Kolat: Ich begrüße sehr, dass die SPD die doppelte Staatsbürgerschaft nach einem Erfolg bei der Bundestagswahl im Herbst in Deutschland einführen will. Die SPD sollte dies zu einer Grundvoraussetzung für jede mögliche Koalition machen. Ich kann nur jede Partei davor warnen, das Thema im Wahlkampf populistisch zu missbrauchen.

SPD.de: Welche Bedeutung hat die Staatsangehörigkeit für die hier lebenden türkischstämmigen Menschen?
Kenan Kolat: Es ist die Anerkennung der Kultur dieser Menschen – und eine Anerkennung dieser Menschen auch als Staatsbürger.

„Ich warne davor, das Thema im Wahlkampf populistisch zu missbrauchen.“

Die zurzeit geltende Optionspflicht sieht vor, dass in Deutschland aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern zwischen dem 18. und 23. Lebensjahr entscheiden, ob sie Deutsche bleiben und damit den Pass ihrer Eltern abgeben wollen. Wenn sie den Pass der Eltern behalten möchten, verlieren sie den deutschen. Von der Optionspflicht betroffen sind vor allem Jugendliche, deren Eltern beide aus der Türkei stammen. Denn alle EU-Bürger haben das Recht, zwei Pässe zu besitzen, ebenso wie Menschen aus Ländern wie Iran und Syrien, die ihre Angehörigen generell nicht aus der Staatsangehörigkeit entlassen. Auch jeder, der mindestens ein deutsches Elternteil hat, darf zwei Pässe besitzen.

SPD.de: Viele türkischstämmige Jugendliche können sich nicht entscheiden. Sie wissen nicht, wohin sie gehören, fühlen sich verloren. Werden sie aus der deutschen Staatsbürgerschaft herausgedrängt?
Kenan Kolat: Es ist wichtig, dass es keine Diskriminierung zwischen den Staatsangehörigen gibt. Es kann nicht sein, dass ein Teil der Staatsangehörigen „Mehrstaater“ werden können aber andere wiederum nicht. Das verletzt natürlich das Gefühl der Gerechtigkeit.

Es ist ermutigend, dass auch der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, die unterschiedliche Behandlung von Menschen bestimmter Länder bei der Mehrstaatlichkeit aus der Menschenrechtsperspektive als problematisch ansieht. Das ist eine neue Qualität der Debatte – die Bundesregierung sollte dies ernst nehmen. Es wäre ein gutes Zeichen, wenn die Optionspflicht abgeschafft würde. Das würde die Identifikation mit der Bundesrepublik viel mehr stärken als dass man sich entscheiden muss für das eine oder andere.

SPD.de: Die Zahl der Betroffenen steigt. Zurzeit gibt es etwa 3000 Optionsfälle jährlich, in fünf Jahren sollen es 40.000 sein. Was befürchten Sie angesichts dieser Entwicklung?
Kenan Kolat: Ich sehe eine gewaltigen, bürokratischen Aufwand auf uns zu kommen. Dieser enorme Verwaltungsaufwand geht auf Kosten der regulären Einbürgerungen.

„Die Visumpflicht muss endlich der Vergangenheit angehören.“

SPD.de: Die türkische Gemeinde in Deutschland fordert zudem mehr Herz bei der Visavergabe. Worum geht es genau?
Kenan Kolat: Uns geht es um die Visumpflicht für bis zu dreimonatige Besuchsvisa. Die Visumpflicht für Personen, die aus der Türkei zu touristischen oder geschäftlichen Zwecken oder um Verwandte zu besuchen in die Bundesrepublik einreisen möchten, muss endlich der Vergangenheit angehören.

Übrigens: In dieser Sache erwarten wir noch in diesem Jahr einen Beschluss des Europäischen Gerichtshofs. Wir sind der festen Überzeugung, dass die derzeitige Regelung gegen das Assoziierungsabkommen zwischen der Türkei und der EU verstößt. Für Besuche bis zu drei Monate sollte die Visumspflicht nicht gelockert, sondern vollständig abgeschafft werden. Das muss die Bundesrepublik endlich anerkennen und da erwarte ich von der SPD eine starke Lobbyarbeit.

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