Sehr geehrter Herr Gabriel,
noch im Herbst 2013 war die Abschaffung des Optionszwangs im Staatsangehörig-keitsrecht eine der Grundbedingungen für eine Beteiligung der SPD an der Bundesregierung: ?
Deutschlands Kinder sollen auch deutsche Staatsbügrer bleiben, deshalb wollen wir den Optionszwang abschaffen.? (Beschluss des außerordentlichen Parteikonvents der SPD am 20.Oktober 2013)
Die in den Verhandlungen mit der Union schließlich erreichte Vereinbarung (?Für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern entfällt in Zukunft der Optionszwang?) wurde von führenden Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten als ersatzlose Streichung des Optionszwangs aus dem Staatsangehörigkeitsrecht interpretiert und kommuniziert – sowohl gegenüber der Öffentlichkeit als auch gegenüber den Mitgliedern der SPD. So hat zum Beispiel die stellvertretende Vorsitzende der SPD, Frau Aydan Özo?uz, von einem ?Paradigmenwechsel im Staatsangehörigkeitsrecht? gesprochen und erklärt: ?Die Optionspflicht wird abgeschafft. Das ist ein großer Erfolg für uns und wird in den nächsten Jahren hunderttausenden Betroffenen helfen.?
Unter anderem mit diesem ?Erfolg? hat die Spitze dre SPD bei ihren Mitgliedern um die Zustimmung zum Koalitionsvertrag mit der Union geworben und diese Zustimmung auch erhalten.
Kaum zwei Monate später müssen wir erleben, dass der für Staatsangehörigkeitsfragen zuständige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) einen Gesetzentwurf vorlegt, der vorsieht, die Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft an Kriterien wie einen Schulabschluss in Deutschland oder die melderechtliche Aufenthaltsdauer zu binden. Er schreibt damit die Ungleichbehandlung der ?Kinder Deutschlands? weiter fest und verschärft sie in Teilen sogar.
Statt Kindern ausländischer Eltern, die die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 StAG erfüllen, die deutsche Staatsangehörigkeit endlich dauerhaft und ohne weitere Bedingungen zuzugestehen, bleiben Rechtsunsicherheit und Ungleichbehandlung bestehen. Die Betroffenen sollen auch in Zukunft ein aufwendiges Verfahren durchlaufen müssen, das sie am Ende mit dem Verlust bzw. dem Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit bedroht.
Die Optionsregelung gefährdet nicht nur individuelle Integrationsprozesse, sie widerspricht dem Selbstverständnis und der Realität einer modernen Einwanderungsgesellschaft, in der bereits bei fast jeder zweiten Einbürgerung eine mehrfache Staatsangehörigkeit die Regel ist.
Sehr geehrter Herr Gabriel, wir vertrauen fest darauf, dass die SPD zu ihrem vor der Bundestagswahl und nach den Koalitionsverhandlungen gegebenen Wort steht. Wir bitten und fordern Sie deshalb dazu auf, die Abschaffung des Optionszwangs im Staatsangehörigkeitsrecht gegenüber ihren Koalitionspartnern einzufordern und durchzusetzen im Interesse der jährlich bis zu 40.000 Betroffenen. Die Optionspflicht und der damit drohende Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit betrifft keine Randgruppe!
Mit freundlichen Grüßen
Unterzeichner/innen:
Annelie Buntenbach, Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes
Dr. Wolfgang Gern, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Hessen
Edeltraud Glänzer, stellvertretende Vorsitzende der IG Bergbau, Chemie, Energie ·
Roland Graßhoff, Geschäftsführer des Initiativauscshusses für Migrationspoli-tik in Rheinland-Pfalz
Enis Gülegen, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte Hessen – Landesausländerbeirat
Dr. Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Vorsitzender der Kammer für Migration und Integration der Evangeli-schen Kirche in Deutschland
Kenan Kolat, Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland
Andreas Lipsch, Vorsitzender von PRO ASYL
Maria Loheide, Diakonie Deutschland ? Evangelischer Bundesverband, Vor-stand Sozialpolitik
Anne Lütkes, Vizepräsidentin des Deutschen Kinderhilfswerkes
Dr. Jürgen Micksch, Vorsitzender des Interkulturellen Rates in Deutschland
Selim Özen, Vorstandsvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Beiräte für Migration und Integration in Rheinland-Pfalz
Giovanni Pollice, Vorsitzender des Vereins „Mach meinen Kumpel nicht an!?
Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbandes
Hiltrud Stöcker-Zafari, Bundesgeschäftsführerin dse Verbandes binationaler Familien und Partnerschaften, iaf