Die Einladung wurde vor dem Hintergrund der Debatte um die Verabschiedung einer Resolution des Deutschen Bundestages ausgesprochen, in der die Ereignisse von 1915/16 im Osmanischen Reich als Völkermord bezeichnet worden waren. Die Türkische Gemeinde in Deutschland hatte den Bundestagspräsidenten Norbert Lammert zu diesem Gespräch eingeladen, um mit ihm darüber zu sprechen, wie eine Gesellschaft so gestaltet werden kann, dass alle hier lebenden Menschen sich mit Deutschland und den hier verankerten Werten identifizieren können. In diesem Kontext hat die TGD versucht zu vermitteln, warum die Resolution des Deutschen Bundestages von einer großen Mehrheit der Deutschtürken abgelehnt wird und welche Konsequenzen ein Ausblenden dieser Befindlichkeiten zur Folge haben kann. Folgende Punkte wurden während des eineinhalbstündigen Gesprächs angesprochen:
Die Haltung der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD) zur Armenien-Resolution des Bundestages vom 02.06.2016
Die TGD setzt sich seit länger als 20 Jahren für ein besseres Verständnis von Deutschen und Deutschlandtürken, für den Dialog und für ein friedliches Zusammenleben zum Wohle unseres Landes ein.
Zur Bedrohung von Abgeordneten des Deutschen Bundestages
- Wir verurteilen die Morddrohungen und Schmähungen gegen türkeistämmige Abgeordnete in aller Deutlichkeit. Jegliche Bedrohungen auf persönlicher Ebene sind nicht nur in einer parlamentarischen Demokratie, sondern grundsätzlich nicht hinnehmbar.
- Der türkische Präsident und die türkische Regierung sollten in dieser Hinsicht ihre bisherige Haltung grundsätzlich überdenken.
Zur Resolution des Deutschen Bundestages
- Für die TGD ist die Armenien-Resolution nicht akzeptabel, da sie undifferenziert, pauschalisierend und einseitig ist. Zudem ist sie weder objektiv, noch wissenschaftlich und juristisch nachvollziehbar. Diese Resolution ist kein geeignetes Mittel, einen Beitrag zur Völkerverständigung und -versöhnung zu leisten.
(Mögliche) Konsequenzen der Resolution des Deutschen Bundestages
- Die überwältigende Mehrheit der türkischen Community in Deutschland lehnt die Armenien-Resolution des Deutschen Bundestages ab.
- Diese Resolution birgt die große Gefahr, die Integrationserfolge der letzten Jahrzehnte zu schmälern. Das Vertrauen der Deutschlandtürken gegenüber dem deutschen Staat, dem deutschen Parlament und den etablierten Parteien, das in den letzten 60 Jahren mit viel Energie aufgebaut wurde, hat erheblichen Schaden genommen. Das politische Interesse an Deutschland wird durch die Resolution signifikant negativ beeinflusst.
- Heftige Reaktionen von den mehr als 3 Mio. Deutschlandtürken sind zu erwarten, wenn z. B. in den Schulen das Thema einseitig behandelt wird. Hier ist eine Welle von Klagen gegen Schulen seitens der Elternschaft zu erwarten, da dies die Meinungsfreiheit von Betroffenen beschneiden würde. Wir bitten in dem Zusammenhang um die Beachtung des Urteils des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) vom 12.03.2014 und 15.10.2015.
- Die Armenien-Resolution wird unter anderem von der AfD und ähnlichen rechtspopulistischen oder gar rechtsradikalen Gruppen gegen die Deutschlandtürken verwendet. Es wird, dies zeichnet sich in den sozialen Medien bereits ab, neben der bisherigen Islamophobie zusätzlich noch eine tendenzielle Turkophobie herbeigeführt.
- Die Resolution wird die verhärteten Fronten zwischen Türken und Armeniern eher verschärfen und keinesfalls einen Beitrag zur Versöhnung und Verständigung der beiden Länder und Völker leisten. Dies wird bereits bestehende religiöse und nationale Ressentiments zwischen Muslimen und Christen, Türken und Deutschen, aber auch Türken und Armeniern in und außerhalb Deutschlands verstärken. Die Segregation der türkischen Community als auch die Diskriminierung der Deutschlandtürken erhält dadurch Vorschub. Das kann nicht im Interesse einer Gesellschaft sein, die eine Integration und ein friedliches Zusammenleben aller Bürger/-innen gleich welcher Herkunft weiter voranbringen will.
- Wir erachten es als falsch, dass alle, die die Resolution nicht befürworten und die Aufarbeitung stattdessen den Historikern/-innen überlassen wollen, als Leugner/-in stigmatisiert und als Radikale/r gebrandmarkt werden. Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut und gehört zu den wertvollsten Rechten unserer Demokratie.
Perspektiven
- Die TGD ist sehr daran interessiert, den Dialog mit allen gesellschaftlichen und politischen Akteuren zu suchen und zu führen, um die enorm angespannten Verhältnisse wieder zu normalisieren. Deshalb wird die TGD vor Kritik an ihrer Position, von welcher Seite auch immer, nicht zurückschrecken.
- Die TGD legt dem Deutschen Bundestag im Interesse Aller nahe, sich in Zusammenarbeit mit dem türkischen, armenischen und aserbaidschanischen Parlament für eine Historikerkommission einzusetzen. Die TGD begrüßt, dass die Bundeskanzlerin diesen Vorschlag bereits in einem Zusammenkommen mit dem aserbaidschanischen Präsidenten Alijev unterbreitet hat. Unser Bundestagspräsident möge diese Vorgehensweise aktiv unterstützen.
Die TGD gedenkt allen Opfern des Ersten Weltkrieges im Osmanischen Reich, unabhängig ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit.