Wir betonen, dass wir es grundsätzlich als wertvoll erachten, dass ergänzende Programme zur Förderung der türkischen Sprachentwicklung unserer Kinder organisiert werden. Allerdings sollten die geplanten Programme im Hinblick auf ihre pädagogischen, organisatorischen und langfristigen Auswirkungen sorgfältig analysiert werden, insbesondere in Bezug auf ihre Beziehung zum herkunftsssprachlichen Türkischunterricht (HSU) und zu bestehenden Bildungsangeboten.
1. Der aktuelle Türkischunterricht und Herausforderungen
Der herkunftssprachliche Unterricht (HSU)wird in vielen Bundesländern Deutschlands als Teil des regulären Bildungssystems innerhalb eines gesetzlichen Rahmens angeboten. Er wird von den jeweiligen Landes-bildungsministerien organisiert und von qualifizierten Lehrkräften mit entsprechender pädagogischer Ausbildung an staatlichen Schulen durchgeführt. Diese Unterrichtseinheiten folgen einer systematischen Methodik und einem festgelegten Bildungsplan und beeinflussen in vielen Bundesländern den Notendurchschnitt der Schüler*innen. Der Türkischunterricht ist somit zeugnisrelevant.
Seit Jahren setzen sich Lehrer-, Elternverbände und Bildungsorganisationen intensiv dafür ein, die Teilnahme an dem Türkischunterricht zu steigern, da das Interesse daran stetig abnimmt. In diesem Zusammenhang darf nicht außer Acht gelassen werden, dass geplante Online-Programme, die am Abend stattfinden, das Interesse am HSU-Unterricht weiter senken und dem bestehenden Angebot schaden könnten.
Die Schüler*innen nehmen tagsüber bereits am Regelunterricht teil und besuchen im Anschluss den HSU-Türkischunterricht, sodass sie in vielen Regionen bis 19:00 Uhr in der Schule bleiben. Die Erwartung, dass sie zusätzlich zwischen 19:00 und 20:20 Uhr an einem Online-Workshop teilnehmen, birgt pädagogische Risiken wie kognitive Erschöpfung, verkürzte Konzentrationsspannen und eine geringere Lernleistung. Diese Faktoren könnten letztlich dazu führen, dass sich die Kinder und und Jugendliche weiter vom Türkischunterricht distanzieren.
2. Beeinträchtigung der Lehrkräfte und der Unterrichtsqualität
Dieses Programm bringt uns Lehrkräfte in ein ernsthaftes Dilemma. Aus Sicht der Schüler*innen und Eltern könnte der Eindruck entstehen, dass kurze Online-Kurse am Abend ausreichen und den regulären HSU-Türkischunterricht ersetzen können. Diese Wahrnehmung widerspricht jedoch der wissenschaftlichen Erkenntnis, dass der Spracherwerb und die Sprachentwicklung Kontinuität und strukturierte Lernprozesse erfordert.
Eltern könnten solche Online- Workshops als Vorwand nutzen, um ihre Kinder nicht am HSU-Türkischunterricht teilnehmen zu lassen. Die Haltung „Anstatt einmal pro Woche zum Unterricht zu gehen, reicht es doch, am Abend eine Online-Veranstaltung zu verfolgen“, könnte die ohnehin bestehenden Teilnahmeprobleme weiter verschärfen. Dies würde nicht zur Qualitätssteigerung des Unterrichts beitragen, sondern im Gegenteil dessen Wirkung schwächen.
3. Eine Sonderregelung für die türkische Sprache?
Wenn wir berücksichtigen, dass ähnliche Programme für andere Sprachen nicht auf diese Weise geplant werden, sondern stattdessen systematische und mit dem formalen Bildungssystem abgestimmte Modelle entwickelt wurden, stellt sich die Frage, warum eine solche Praxis speziell für die türkische Sprache eingeführt wird.
Welche langfristigen Ziele verfolgt dieses Programm? Wie soll die Integration in den regulären Unterricht sichergestellt werden? Diese Fragen müssen eindeutig geklärt werden.
4. Lösungsansätze und Empfehlungen
Programme zur Förderung des Türkischunterrichts sollten nicht in Konkurrenz zum regulären Bildungssystem stehen, sondern es ergänzen und unterstützen.
Daher halten wir es für essenziell, klarzustellen, dass diese Programme keine Alternative zum HSU-Türkischunterricht darstellen, sondern als Ergänzung gedacht sind, um Missverständnisse bei Eltern und Schüler*innen zu vermeiden.
Zusammenfassend sollte darauf verzichtet werden, Maßnahmen einzuführen, die sich negativ auf den herkunftssprachlichen Türkischunterricht auswirken könnten. Vielmehr sollten Initiativen gefördert werden, die die Teilnahme am Türkischunterricht steigern und dessen Status innerhalb des deutschen Bildungssystems stärken.
Der richtige Ort für den Türkischunterricht sind die Schulen!
Vorstand des BTMB – Bundesverband für Türkisch und Mehrsprachige Bildung