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Aktuell haben etwa 15 % der Wahlberechtigten eine internationale Familiengeschichte oder Migrationsgeschichte, mehr als bei jeder bisherigen Wahl in der Geschichte unseres Landes. Die Menschen mit Migrationsgeschichte unterscheiden sich in ihren Wünschen und Bedürfnissen nicht wesentlich von der restlichen Wahlbevölkerung. Sie haben jedoch aufgrund ihrer Erfahrungen mit eingeschränkter Teilhabe, Ausschlüssen und Diskriminierungen – etwa im Bildungssystem oder auf dem Wohnungsmarkt – eine andere Perspektive auf viele Themen.

Die Türkische Gemeinde in Deutschland e.V. (TGD) hat vorab zur Bundestagswahl 2025 1707 Direktkandidat*innen der 299 Wahlkreise der Parteien CDU/CSU, SPD, Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen, AfD, FDP und BSW zu ihren persönlichen Einstellungen und Positionen zu migrations- und integrationspolitischen Themen als Orientierungshilfe für die Wähler*innen befragt. Dabei fragten wir nach Knackpunkten und gesellschaftlichen Schieflagen, die insbesondere Menschen mit eigener oder familiärer Migrationsgeschichte direkt betreffen. Beispielsweise: Befürworten Sie die Beibehaltung der doppelten Staatsbürgerschaft? Finden Sie, dass Drittstaatsangehörige auf kommunaler Ebene genauso wie Unionsbürgerinnen und Bürger wählen dürfen sollten? Und: Für wie wichtig halten Sie es, dass staatliche Behörden ihre Dienstleistungen in gleicher Qualität anbieten, unabhängig von der Herkunft einer Person?

630 Personen haben uns geantwortet. Je nach Parteizugehörigkeit gibt es erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Teilnahme, die einer Kontinuität seit 2013 – den ersten Wahlprüfsteinen der TGD – folgt. Je nach Parteizugehörigkeit haben so viele Direktkandidat*innen teilgenommen: SPD (103), CDU/CSU (21), Bündnis 90/Die Grünen (159), FDP (98), AfD (48) und Die Linke (178).

Auf unserer Datenbank finden Sie alle Ergebnisse und Kommentare der Direktkandidat*innen im Einzelnen.

Das BSW verfügt über keine Direktkandidaten und ist damit aus der Gesamtstatistik herausgenommen worden.

Einige Kandidat*innen der CDU (22) haben uns ein von der Partei vorgefertigtes Schreiben zukommen lassen, für das wir uns an dieser Stelle bedanken möchten.

Alle Umfrageergebnisse der Direktkandidat*innen lassen sich in unserer Datenbank recherchieren: LINK Einige der Ergebnisse möchten wir Ihnen hier im Einzelnen vorstellen.

Übrigens: Die Parteizentralen haben unsere Fragen nicht beantwortet, da sich die demokratischen Parteien auf eine Liste von 30 Organisationen geeinigt hatten, auf deren Wahlprüfsteine sie antworten wollten.  Auf dieser Liste steht allerdings keine einzige Organisation, die die Interessen der Wählergruppe mit Migrationsgeschichte vertritt. Die Liste der Organisationen finden Sie hier: Link

Repräsentanz in Parlamenten?

Die Identifikation der Menschen mit Migrationsgeschichte mit den im Grundgesetz verankerten Werten und mit Deutschland als ihrer Heimat hängt eng mit der Erfahrung der gesellschaftlichen und politischen Teilhabe zusammen. Auch die sichtbare Teilhabe von Menschen mit Migrationsgeschichte in Parteien, im Deutschen Bundestag und in politischer Verantwortung spielt eine große Rolle.

Derzeit haben 11 % der Abgeordneten im Bundestag und 7,3 % in den Landesparlamenten eine familiäre oder eigene Migrationsgeschichte, während dies auf ca. 26 % der Bevölkerung zutrifft.

Es gibt eine klare Zustimmung über nahezu alle Parteien hinweg, selbst wenn diese bei der FDP etwas weniger deutlich ist und bei der AfD nur bei 58 % liegt. In der Umfrage haben wir zusätzlich die Frage gestellt, ob sich die Kandidatinnen und Kandidaten dafür einsetzen würden, dass Menschen mit Migrationsgeschichte ausreichend repräsentiert sind und haben nahezu identische Ergebnisse erzielt.

Doppelte Staatsangehörigkeit?

Mit Blick auf die doppelte Staatsangehörigkeit, ein sehr wichtiges Thema für viele Menschen mit Migrationsgeschichte, da es um die Anerkennung der Realität von Mehrfachidentitäten geht, haben wir folgende Frage gefragt:

Kommunales Wahlrecht?

Mit dem Hinweis darauf, dass EU-Migrantinnen und -Migranten das kommunale Wahlrecht haben, während Drittstaatler*innen dieses Recht aktuell verwehrt wird, haben wir nach der Haltung der Kandidat*innen gefragt, ob alle Bürger*innen das kommunale Wahlrecht erhalten sollten.

In dieser Frage werden große Unterschiede zwischen den Parteien sichtbar. Während sich bei AfD, CDU und FDP eine klare Ablehnung zeigt, ist die Zustimmung bei der Linken am stärksten mit beinahe 100 %, gefolgt von den Grünen, die bei 93 % liegen und der SPD.

Dienstleistungen in staatlichen Behörden – für alle gleich?

Das Etablieren einer Willkommenskultur, besonders in Behörden, ist für Menschen mit Migrationserfahrung ein wichtiges Thema und mittlerweile auch ein Wirtschaftsfaktor. Laut Wirtschaftswissenschaftlern braucht Deutschland eine Nettozuwanderung von 500.000 Fachkräften pro Jahr, um die wirtschaftliche Schaffenskraft wenigstens auf dem heutigen Niveau zu halten. Gleichzeitig rangiert Deutschland bei Fachkräften aus dem Ausland in der Beliebtheit auf den unteren Plätzen. Von den 1,3 Millionen Auswanderern im Jahr 2023 entfielen ca. eine Million oder 77 % auf Menschen ohne deutschen Pass. In vielen Fällen liegt dies daran, dass Menschen in anderen Ländern bessere berufliche Chancen erhalten, insbesondere für Fachkräfte. Als weitere Gründe für die Auswanderung werden neben sprachlichen Hürden vor allem verwaltungstechnische Hürden und Diskriminierungserfahrungen im Alltag und in Behörden genannt. Studien belegen, dass die Gleichbehandlung in Behörden nicht gegeben ist.

Unsere Frage: Für wie wichtig halten Sie es, dass staatliche Behörden ihre Dienstleistungen in gleicher Qualität anbieten, unabhängig von der Herkunft einer Person? [1 = überhaupt nicht wichtig; 10 = höchst wichtig]

Dem Großteil der befragten Kandidat*innen ist diese Gleichbehandlung wichtig. In den letzten Jahren ist die Erkenntnis, dass es in Deutschland Ungleichbehandlung und Diskriminierung gibt, in Politik und Gesellschaft zunehmend gewachsen, gleichzeitig sind aber notwendige Maßnahmen bisher nicht umgesetzt worden. Um herauszufinden, wie die Befragten zu Maßnahmen stehen, die diese Gleichbehandlungen unterstützen können, haben wir gefragt:
Befürworten Sie Maßnahmen wie ein etabliertes Beschwerdemanagement und diversitätsorientierte Organisationsentwicklung?

Es gibt noch zwei wesentliche Instrumente auf der Bundesebene, welche helfen, Diskriminierungen und Ungleichbehandlungen sichtbar zu machen und abzustellen und so für mehr Chancengerechtigkeit in der Gesellschaft zu sorgen. Nach beiden Instrumenten haben wir gefragt:

Die Antirassismusbeauftragte

Mit der Antirassismusbeauftragten hat die letzte Regierung erstmals eine Zuständigkeit für den Abbau von Rassismus geschaffen. Die Beauftragte hat wichtige Forschungsvorhaben und Projekte angestoßen und den Diskurs über Strukturen und Wissensbestände, die ohne rassistische Intention ausschließend wirken, auf ein neues Niveau gehoben. Unsere Frage war:

Werden Sie sich für den Erhalt und die Institutionalisierung der Antirassismusbeauftragten einsetzen?

Wir sehen eine außerordentlich starke Zustimmung bei SPD, den Grünen und der Partei Die Linke und die Ablehnung seitens der AfD (84%). Die Rückmeldungen der CDU sind nicht so deutlich, aber mit 57% Befürwortung und 24% Ablehnung immer noch eher befürwortend. In der FDP ist die Unsicherheit etwas stärker ausgeprägt mit Zustimmungswerten bei 43%, 37% Enthaltungen und etwas unter 19% Nein-Stimmen.

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

Seit seiner Evaluierung 2016 soll das AGG novelliert werden, um bestehende Schutzlücken zu schließen. So klammert es bspw. aktuell das Verhältnis zwischen Bürger und Staat aus und bleibt damit deutlich hinter den EU-Anforderungen im Bereich der Antidiskriminierung zurück. Das Gesetz schützt also nicht vor Diskriminierung durch staatliche Institutionen. Eine Reform des Gesetzes hat die Ampelregierung beschlossen, aber nicht umsetzen können.

Um die Kompetenzen der Bundesregierung in integrations- und migrationspolitischen Fragen zu unterstützen, hat die Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen bereits zur letzten Bundestagswahl die Einrichtung eines Partizipationsrates als Expert*innenrat für die Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft vorgeschlagen, ähnlich dem deutschen Ethikrat. Wir haben die Kandidat*innen gefragt:

Würden Sie sich für die Einrichtung eines solchen Expertenrats einsetzen?

Wohlfahrtspflege

Menschen mit Migrationsgeschichte berichten häufig davon, dass die Wohlfahrtspflege zu wenig auf die Bedürfnisse in den Communities eingeht, sowohl bei Jugendlichen und Kindern als auch bei Senioren und ihren Angehörigen. Daraus ergibt sich eine schlechtere Versorgung als für den Rest der Bevölkerung. Für einige Bereiche belegen Studien diese „Schlechterversorgung“. Für die meisten Bereiche allerdings fehlen Erhebungen. Auf der anderen Seite werden die Potenziale communitybasierter Dienstleister (etwa Migrantenorganisationen) nicht adäquat genutzt, da sie keinen Zugang zu Regelsystemen erhalten.

Demokratieförderung

Die innere Sicherheit ist für Menschen mit Migrationsgeschichte genauso wichtig wie für alle Bürger*innen. Die Förderung von Demokratie, die Gestaltung von Vielfalt und natürlich die Arbeit gegen jede Form von Extremismus ist besonders für Menschen mit Migrationsgeschichte ein sehr wichtiges Thema. Mit dem Bundesprogramm „Demokratie leben!“ hat Deutschland ein Instrument, das in Europa oft beneidet wird. In der ganzen Republik setzen zivilgesellschaftliche Organisationen Maßnahmen um, die vor Ort Menschen stärken, unterstützen und fördern – im Sinne des sozialen Friedens und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, um der Einflussnahme extremistischer Kräfte entgegenzutreten.

In mehreren Fragen haben wir die Meinungen der Kandidat*innen zu diesem Thema erhoben, angefangen bei der grundsätzlichen Haltung, über die benötigten Budgets, hin zur möglichen gesetzlichen Grundlage, einem Demokratiefördergesetz. Wir haben gefragt:

Für wie wichtig halten Sie Maßnahmen, die Demokratie und den Umgang mit Vielfalt fördern und Extremismus aus allen Bereichen entgegenwirken? [1 = unwichtig; 10 = sehr wichtig]

Betrachten Sie den Betrag von 0,04 % des Bundeshaushaltes, der für die Förderung der Demokratie in der letzten Regierung aufgebracht wurde, als zu hoch, angemessen oder zu gering? [1 = zu gering; 10 = zu hoch]

Befürworten Sie das Demokratiefördergesetz, das zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich für Demokratie, Toleranz und gesellschaftlichen Zusammenhalt einsetzen, finanziell und organisatorisch besser unterstützt?

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