Skip to main content

Seit gestern verhandeln Politiker*innen von CDU, CSU und SPD den Koalitionsvertrag für die zukünftige Bundesregierung. Die TGD kritisiert die mangelnde Repräsentanz bei Sondierungen und Koalitionsverhandlungen. Um eine Zukunft in Vielfalt solide zu planen, muss die Gegenwart am Tisch sitzen.

Aslıhan Yeşilkaya-Yurtbay, Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, sagt: „Manche Menschen fragen mich, warum uns Repräsentanz so wichtig ist und ob es nicht um Inhalte gehen sollte. Dabei geht es mir gerade um die inhaltlichen Priorisierungen, die sich je nach Zusammensetzung des Teams ergeben. Ich sehe Deutschland anders, weil ich geprägt bin von Erfahrungen, die ich seit dem Kindergarten mache, weil ich nicht Deutsch gelesen werde. Zudem bin ich eine Frau und überzeugt, dass paritätisch besetzte Gremien bessere Entscheidungen treffen. Wir arbeiten außerdem sehr eng mit vielen Organisationen aus Ostdeutschland zusammen und wissen daher, dass es auch einen anderen und wichtigen Blickwinkel bringt, wenn ein Mensch im Osten lebt.“

18 Menschen haben im Sondierungspapier die Leitplanken für die Koalitionsverhandlungen bestimmt, sechs von ihnen sind Frauen, nur zwei stammen aus dem Osten und kein einziger hat eine sichtbare Migrationsgeschichte.

Aslıhan Yeşilkaya-Yurtbay ergänzt: „Wenn sich diese 18 Personen treffen, um die Zukunft Deutschlands zu planen, sendet das die folgende Botschaft an Menschen mit Migrationsgeschichte: Ihr bestimmt hier nicht mit, ihr sitzt nicht am Tisch! Ausschlaggebend sollte bei der Personalauswahl immer die Kompetenz sein – Menschen, die an der Macht sind, sagen uns das immer wieder. Spiegeln diese 18 Personen also die Normalverteilung von Exzellenz in unserem Land wieder? Ich bezweifle das! Wenn Sie wollen, dass ganz Deutschland die Ärmel hochkrempelt, dann denken Sie mal nach, wie eine Regierung aussehen müsste, die das glaubwürdig vertritt.“

Die Türkische Gemeinde in Deutschland stellt fest, dass die Repräsentanz in den AGs der Koalitionsverhandlungen besser ist als in den Sondierungsteams zuvor. Von einer angemessenen Repräsentanz – 50 % Frauen, fast 20 % Ostdeutsche und mindestens 25 % Menschen mit Migrationsgeschichte – sei man aber noch meilenweit entfernt. Die TGD betont die Wichtigkeit, die Posten im Kabinett entsprechend der gesellschaftlichen Realitäten zu besetzen.

„Mit mangelnder Repräsentanz sind immer auch fachliche Defizite verbunden, weil Perspektiven und Wissen schlichtweg fehlen“, sagt Gökay Sofuoğlu, Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland. „Ich bin mir sicher: Hätten wir die politische Verantwortung für die Entwicklung einer einwanderungsfreundlichen Gesellschaft in die Hände von Expert*innen mit Migrationserfahrung gelegt, dann hätten wir heute kein Fachkräfteproblem, weil es keine Ungleichbehandlung in Behörden, am Wohnungsmarkt, oder im Bildungssystem mehr gäbe und Rechtsextremismus mit einem ehrlichen Blick auch auf behördliches Versagen früher konsequent verfolgt worden wäre. Heute sind dies alles Faktoren, die Fachkräfte dazu bewegen, sich für andere Länder zu entscheiden. Aktuell ist unsere Attraktivität dürftig. Aus der Perspektive vieler Menschen mit Migrationsgeschichte sind wir nach diesem Wahlkampf erstmal kein einwanderungsfreundliches Land mehr. Das müssen wir reparieren. Es gibt einen Vertrauensverlust darin, dass Migration etwas Gutes bringt, weil sich alle auf Probleme fokussieren, statt die funktionierende Realität wahrzunehmen. Fakt ist: Ohne Migration haben wir keine Zukunft. Das wird tragischerweise nun vor allem der Osten zu spüren bekommen, denn Rassismus ist definitiv ein Standortfaktor.“

Newsletter abonnieren


zum Newsletter-Archiv

Werden Sie Teil unserer Arbeit!

Unterstützen Sie uns mit Ihrer Spende: